Bekannterweise werfen große Dinge immer ihre Schatten voraus. In diesem Fall in Form einer Mail an mich von unserem Mitglied im Stapelholmer Yachtclub Süderstapel namens Volker mit der Frage nach Unterstützung bei einer Bootsfahrt. Daraufhin enspann sich ein Austausch per Telefon, bei dem mir so gegen 15 Uhr am Donnerstagachmittag die definitive Frage gestellt wurde, ob ich mich für eine Überführungsfahrt zur Verfügung stellen würde: von der Krückau (bei Elmshorn) über die Elbe, über den NOK und über die Eider nach - zumindest erst einmal - Süderstapel. Um 17 Uhr würde ich dann abgeholt werden.
Ich prüfte die Gezeiten, sowie die navigatorischen und meteorologischen Gegebenheiten, befand die Fahrt am folgenden Freitag für machbar und sagte zu. Um 1830 trafen wir, Volker, Sven, ein Segler aus Husum, und ich, zügig von Volkers Frau Katja dorthin chauffiert, in einem gottverlassenen Schnakenloch im Schilfgürtel der Krückau ein. Mein erster Gedanke war: Was macht "der Mensch" nicht alles, um seinem Bootshobby zu frönen! Und: Wie gut haben wir es dagegen in Süderstapel: Das Wasser ist zu jeder Zeit da, die Badequalität ist ausgezeichnet und ansprechende Fahrtziele liegen im Nahbereich. Sogar die von Seglern und Bootsfahrern favorisierte Ostsee ist in erreichbarer Entfernung. Hier jedoch, im rustikalen Kleinsthafen von Seester, mit einfachen Mitteln zurechtgebaut, aber dennoch erkennbar mit Liebe und Herzblut gepflegt, mangelte es allerdings jetzt schon an dem, was für jegliche Schifffahrt unabdingbar ist: an ausreichend vorhandenem Wasser. Denn zu diesem Stand der Tide war es nicht mehr möglich, das etwa 10 Kilometer entfernte Hauptfahrwasser der Elbe zu erreichen, wo in gewissen Grenzen Segeln möglich ist. Nein, hier zeigten sich jetzt schon die ersten Schlammbänke im braun-grauen Wasser der Krückau, dafür aber Mücken aus dem nahen Schilf.
Genug gelästert! Am Schwimmsteg lag das von Volker und Katja käuflich erworbene Boot namens TIDEN, eine gut erhaltene Dehler Duetta 860, solide gebaut und bekannt als gut segelnd. Der vormalige Bootseigner kam gleich nach uns an Bord, blieb sogar bis zum Einbruch der Dunkelheit und gab geduldig letzte und allerletzte Erklärungen ab zum ordnungsgemäßen Gebrauch des Bootes. Und ganz nebenbei stand die Frage im Raum, warum zu diesem Stand der Tide das Ruder nicht mehr zu bewegen war. Eine gute Frage, deren Antwort eindeutig war: "Das steckt im Modder fest!" Und eigentlich nur so wurden wir in Kenntnis gesetzt, dass der Liegeplatz nur in der Zeit von 2 Stunden vor bis 2 Stunden nach Hochwasser anzusteuern oder zu verlassen war. Und diese Erkenntnis sollte ernste Konsequenzen für die Planung des nächsten Tages haben!
Die Nacht war warm und ruhig, den Mücken gaben wir uns ohne große Gegenwehr hin, doch um 0500 Uhr klingelte der Wecker. Ein frisch angerührter Kaffee, zwar heiß, aber in seiner Qualität nicht unbedingt empfehlenswert, war das, was wir Frühstück nannten. Doch dann waren wir bereit. Um 0530 Uhr, noch bei tiefster Nacht, aber freundlicherweise vorläufig noch beleuchtet von einigen Steglaternen, wurde der Motor angeworfen, es wurden die Leinen gelöst, und bald danach strebte das Boot der nahen Krückau entgegen. Der Zeitpunkt des nächtlichen Hochwassers lag in diesem Moment bereits eineinhalb Stunden zurück, der Wasserstand war kräftig gefallen, es war Ebbe. Und das merkten wir spätestens, als wir im Nahbereich des letzten Hafendalbens plötzlich Grundberührung hatten.
Ja, das Boot steckte fest, und dies leider bei ablaufendem Wasser, was immer kritisch zu bewerten ist. Aber wir waren nur bei langsamster Fahrt aufgelaufen, vielleicht war auch der Grund sehr weich, jedenfalls nach wenigen Versuchen mit der Maschine kamen wir wieder frei. Dennoch waren wir gewarnt vor den Unbillen am Grunde der Krückau.
Unter Mithilfe einer kleinen, aber relativ leistungsstarken Taschenlampe, deren Strahl ich vom Bug aus nach voraus richtete, fuhren wir nun das nächtliche Fahrwasser hinab. Weit reichte das Licht leider nicht, denn es verlor sich schon bald in Nacht nacht und Nebel, doch er reichte aus, die nahe vorausliegenden Ufer zu erkennen. Und das war wichtig, um in den Kurven des stark mäandrierenden Flusses rechtzeitig die Außenbahn anzusteuern. Denn nur dort war mit ausreichender Wassertiefe zu rechnen.
Trotz der Dunkelheit kamen gut voran, und um kurz nach 0600 Uhr sowie nach 3,5 Kilometern, die wir im Kielwasser zurückgelassen hatten, lag das einigermaßen spektakulär erleuchtete Sperrwerk voraus. Der Schein der Beleuchtung spiegelte sich im Wasser und zeigte uns an, dass es geöffnet war. Doch jetzt schon durch dieses massive Bollwerk hindurch zu fahren, war wenig sinnvoll, denn bei der momentan noch geringen Sicht würde vom unbeleuchteten Tonnenstrich der Pagensander Nebenelbe nicht viel zu erkennen sein. Es war also notwendig, die Zeit abzuwarten, bis die Dämmerung eingesetzt haben würde. Ich hatte mir zuvor notiert, dass der Sonnenaufgang in diesen Breiten an diesem Tag um 0719 Uhr stattfinden wird.
Also viel Zeit, die nicht unbedingt mit pausenlosen Maschinen- und Steuermanöver im ablaufenden Strom der Krückau verbracht werden sollte. Doch die Dalben, die sich anboten, erwiesen sich als zu dick, um dort eine Leine herumzuschlingen. Doch dann fiel der suchende Blick im nächtlichen Rund auf ein kleines Behördenschiff des Wasser- und Schifffahrtsamtes, das in einiger Entfernung festgemacht hatte. Dort gingen wir längsseits.
Kurz vor 0700 Uhr hatte sich die Nacht immer noch nicht soweit verflüchtigt, aber nun kamen die Männer des Wasser- und Schifffahrtsamtes, die ihr Arbeitsboot zum Ablegen klarmachten. Aber offensichtlich hatten sie es schon öfter erlebt, dass unbefugterweise hier festgemacht wurde, und so war es auch kein Problem, selbst dann nicht, als dort bereits die Motoren zum Warmlaufen gestartet wurden. Günstig war es sogar, dass es dem öffentlich bediensteten Bootsführer gar nicht erlaubt war, bei Dunkelheit abzulegen. Das passte also.
Um 0710 Uhr war es dann soweit, fast ruckartig setzte die Dämmerung ein, Volker startete die Maschine, wir legten ab. Langsam passierten wir das Sperrwerk, fuhren dann noch eine Strecke an der Leitbuhne entlang und grüßten wenig spätert den "Grünen Mann" an deren Ende. Es war die grün beleuchtete Bake, bei der wir nach Steuerbord abbogen. Doch auch jetzt sahen wir die unbeleuchteten Tonnen des ganz unter dem Ufer entlangführenden Nebenfahrwassers nicht. Jedoch, noch war genug Wasser in der Elbe, und das Echolot zeigte uns zu jeder Zeit eine Wassertiefe unter dem Kiel an, die keine Sorgen aufkommen ließ. Als es hell geworden war, hatten wir das Hauptfahrwasser der Elbe erreicht.
Ein ruhiger Morgen empfing uns dort. Kein Wind, angenehme Temperaturen und Sven servierte an Oberdeck ganz überraschend belegte Brötchen und je eine Tasse Kaffee. Das hob die Stimmung, während die Maschine weiterhin 6 Knoten Fahrt durchs Wasser machte und die ablaufende Tide dazu noch kräftig mitschob. Dadurch waren wir wirklich schnell unterwegs, und bereits um 1030 Uhr hatten wir die 19 Seemeilen bis nach Brunsbüttel hinter uns gelassen und standen vor der Schleuse. Da wollte auch das deren Personal kein Spielverderber sein und schickte uns umgehend das Signal "Unterbrochen weiß". Das hieß für uns: Sofortiges Einlaufen in die "Kleine Schleuse Süd".
Besser kann es wirklich nicht gehen. Schon wenig später waren wir auf dem Nord-Ostsee-Kanal, und nun war es sogar möglich, noch an diesem Tage Süderstapel zu erreichen. Damit hatten wir eigentlich gar nicht gerechnet. Mein Telefonat mit der Brücke Pahlen war sehr erfreulich und auch der Hafenmeister von Süderstapel zeigte klar, als es darum ging, einen Liegeplatz in Süderstapel bereit zu stellen.
Zügig ging die "Revierfahrt West" voran, das einzig Erwähnenswerte war, dass sich ein dicker, kaum schneller fahrender Chemietanker lauthals beschwerte, dass die TIDEN recht nah vor seinem Bug kreuzte. Eine kleine Fahrtunterbrechung hatten wir vor der Gieselauschleuse, denn wir waren einfach zu schnell unterwegs gewesen: der Schleusenwärter war noch in der Mittagspause.
Aber die Pause war nur kurz, um 1430 Uhr hatten wir auch dieses Hindernis hinter uns und wenig später auch die Lexfähre-Schleuse. Volker, der Skipper, der die ganze Zeit über an der Pinne gewesen war, ließ zwar immer noch keine Müdigkeit erkennen, machte aber einen Eindruck, dass ihm eine Ablösung nicht ganz ungelegen käme. So bot ich mich an, das Steuern zu übernehmen. Ich hätte es lassen sollen!!!
Ich war schon im Vorhafen der Gieselauschleuse von Wettergott einigermaßen energisch verwarnt worden, als mich ein plötzlicher Regenguss gänzlich unvorbereitet traf. Nun aber wurde es richtig Ernst. Nun wurde es ungemütlich an Oberdeck der TIDEN, zumindest wenn man, in der freien Plicht stehend, den freien Blick nach voraus brauchte: Heftiger Regen hatte eingesetzt, und er war manchmal so stark, dass mir das Wasser bald bis in die Schuhe lief, der Wind blies zudem kräftig aus West, und es wurde kalt. Dennoch, um 1700 Uhr passierten wir die Brücke Pahlen, und um 1830 Uhr liefen wir - jetzt endlich nicht vom Regen behelligt - ein in den uns zugewiesenen Liegeplatz am Hafensteg von Süderstapel. Alles hatte geklappt, viel besser als erwartet.
Um diesem erfolgreichen Tag den ihm gebührenden Abschluss zu geben, traf sich die Besatzung der TIDEN nebst Katja, Volkers Lebensgefährtin, die jene chauffiert hatte, im Norderstapeler Gasthof. Neben der notwendigen Aufnahme von Speisen und Getränken war ein Hauptpunkt des Abends die Erörterung über das weitere Geschehen. Soll die TIDEN nach Husum überführt werden oder wäre es möglich, dass sie vorläufig in Süderstapel verbleiben könnte? Ein Blick in den Gezeitenkalender hatte nämlich ergeben, dass erst am kommenden Wochenende mit einer passenden Tide ab Nordfeld zu rechnen war. Und die braucht man auf der Tide-Eider ebenso wie auf der Außen-Eider beim Weg durch das Wattenmeer nach Husum. Dieser Vorgang, den wir nun bearbeiteten, nämlich alle Gegebenheiten gewissenhaft zu prüfen und zu berücksichtigen, nennt sich übrigens in Kreisen weitgereister und weniger weitgereister Seefahrer SEEMANNSCHAFT. Und SEEMANNSCHAFT ist nur ein anderes Wort für SICHERHEIT auf dem Wasser.
Ich hatte zwar gehofft, dass die TIDEN in Süderstapel den Endliegeplatz gefunden haben könnte, aber dass das nicht so war, bemerkte ich spätestens, als Volker, der nicht nur Mitglied in unserem SYCS, sondern auch im Husumer Segelverein ist, am Freitagvormittag zu mir nach Hause kam, um die Fortsetzung des Törns nach Husum zu besprechen. Und so nahm der Überführungstörn am frühen Morgen des folgenden Samstags seinen Anfang. Punkt 0800 Uhr klingelte es an der Haustür, Volker nahm mich in Empfang und lotste mich und meinen Seesack in Katjas Auto. Auch Sven war wieder mit von der Partie, und das war eigentlich auch zwingend, denn niemand kann so unwiderstehliche Schnittchen herstellen und servieren wie Sven.
Noch vor 0900 Uhr legte die TIDEN in Süderstapel ab, von Katja ordnungsgemäß verabschiedet und mit einem letzten Winkgruß versehen. Das Boot nahm den Kurs in Richtung eiderabwärts, und Süderstapel versank hinter uns im Nieselregen dieses kalten Morgens. Die TIDEN, von einem kräftigen 22 PS-Motor angetrieben, kam gut voran, weder Wind noch Wellen störten, und die Binneneider bis nach Nordfeld bietet auch keinerlei nennenswerte Hürden, die einer flotten Fahrt entgegenstehen. Die Schleuse des Sperrwerks Nordfeld, von uns rechtzeitig in Kenntnis gesetzt, war schon offen, als sie hinter der Biegung des Flusses in Sicht kam. Ohne Verzögerung bekam die TIDEN das erforderliche grüne Licht, lief ein und wurde auf das Niveau der TIDE-Eider hochgeschleust. Das mächtige Westtor öffnete sich, dann fuhr die TIDEN hinaus in eine Eider, die von Ebbe und Flut beherrscht wird.
Wir waren gut in der Zeit, das lokale Hochwasser begann eben zu fallen, und die TIDEN konnte nun in schneller Fahrt, vorbei an vielen Pricken und etlichen Fahrwassertonnen, mit dem ablaufenden Wasser zügig nach Westen fahren. Das Bild der Eider hatte sich nach Nordfeld sehr geändert, waren es vorher die Bäume am Ufer, die den kalten Nordwind abgehalten hatten, so gibt es hier im weiten Umfeld nur baum- und buschlose Wiesen und entfernte Deiche, die keinerlei Schutz bieten. Die Eider ist hier also schon sehr "friesisch herb" und lässt die Nähe der Nordsee erahnen. Dies, der Regen, der nun stetig stärker wurde, und die Kühle des Tages hätten nun die fast überbordende Laune an Bord der TIDEN nachhaltig einschränken können, aber das war nicht so. Denn Sven hatte wieder seine unwiderstehlichen Schinken-Käse-Schnittchen serviert, die nun trotz des Mangels an Streichfett - dieses war bei der Kombüsenausstattung vergessen worden - mit heißem Kaffee erfolgreich in die Mägen gespült wurden. Dort begannen sie alsbald, ihre wohltuende Wirkung zu entfalten.
Die Friedrichstädter Straßenbrücke wurde passiert, danach auch recht schnell die Eisenbahn-Drehbrücke kurz dahinter und auch die Straßenbrücke Tönning öffnete, als man dort der TIDEN ansichtig geworden war. Dann steuerten wir den Tönninger Hafen an. Das Wasser war schon ziemlich gefallen, aber es war uns bekannt, dass der Hafenpriel ganz am einlaufend rechten Rand
der Spundwand verläuft. Hier schlüpfte die TIDEN unbehelligt hindurch und gelangte in das historische Hafenbecken dieses kleinen, hübschen ehemaligen Festungsstädtchens. Ich wies Volker auf einen freien Liegeplatz hin, aber nur 2 Meter vor dem Anlege-Schlängel steckte die TIDEN, deren Kiel 1,50 Meter hinabreicht, im Modder fest. Volker, der Skipper, war jedoch nicht gewillt, dies hinzunehmen, und - tatsächlich! - mit einigen energischen Motorpulls kam die TIDEN wieder frei und konnte danach ordnungsgemäß am Steg vertäut werden. Es war erst 1230 Uhr, also auch Zeit genug, die "Kuchenbude" aufzubauen, die uns in der Folgezeit sehr hilfreich war bei der Herstellung einer gewissen Trockenheit im Boot bei dem schaurigen Wetter des Tages.
Der Regen hatte die gesamte Fahrt über nicht nachgelassen, war sogar eher mehr geworden, und ich musste jetzt feststellen, dass meine Ölzeugjacke zwar immer noch modisch gestylt, aber leider bei dieser Menge an H2O in der Luft leider nicht mehr wasserdicht war. Entsprechend feucht bis nass war mein Troyer, den ich darunter trug. Dieser Umstand und der damit verbundene Temperaturabfall in den Tiefen meines wahrlich nicht mehr ganz jugendlichen Körpers war der einzige Grund, dass ich, als Katja wieder eingetroffen war, an der in einer fußläufig gelegenen Gastronomie geplante Verabschiedungszeremonie für den wackeren Sven, der uns hier verließ, nicht mehr teilnahm. Denn der zweifelhaften Freude, erneut dem Regen ausgesetzt zu sein, konnte ich in diesem Moment nichts mehr abgewinnen. Da legte ich mich doch lieber auf die Salonkoje der vorläufig noch vom Motor temperierten Kajüte und versuchte, mich unter meinem Schlafsack aufzuwärmen.
Als Volker am Nachmittag dieses verregneten und eisigen Samstags wieder zurück kam, war die Kernthemperatur meines wahrlich in die Jahre gekommenen Körpers zumindest halbwegs wieder hergestellt. Volker erzählte mir von dem Café, das man aufgesucht hatte, um sich mit heißem Kaffee und Kuchen verwöhnen zu lassen. Da spätestens meldete sich auch bei mir der Hunger und auch die Möglichkeit, mich auch innerlich aufzuheizen, war für mich verlockend genug, jetzt dieses hochgelobte Etablissement aufzusuchen. Meine Ölzeugjacke war wieder einigermaßen trocken, der feuchte Troyer gegen ein frisches, aber leider dünnes Fleece-Shirt ausgetauscht, und bei dem jetzt nur noch mäßigen Nieselregen sah ich keine Gefahr der erneuten Durchfeuchtung. Strammen Schritts marschierten wir los, doch zuerst statteten wir dem Hafenmeister einen Besuch ab, dem wir noch einige Hinweise zum Befahren der Außen-Eider entlocken konnten. Beiläufig, beim Inempfangnehmen des moderaten Hafengeldes, sprach er von einer Barre, die sich im Fahrwasser gebildet haben soll. Aber so bedeutend schien im das nicht zu sein.
Danach setzten wir den Weg fort in die Richtung des besagten Cafés. Doch als wir dort ankamen, bemerkte ich keineswegs eine trockene und ansehnliche Lokalität, sondern eine ausnehmend rustikale Anlage aus rohem Holz mit Sandfußboden. Es handelte sich, und das erkannte ich sogleich, um die alte Bootshalle der längst untergegangenen Dawarts-Werft, die sich in zurückliegenden Zeiten eines sehr guten Rufes im Holzschiffbau erfreute. Die Halle war nämlich zumindest zur Hafenseite völlig offen, der Wind und der immer noch anhaltende Nieselregen hatten hier freien Zutritt. Allerdings, das muss man sagen: das gastronomische Angebot stimmte. Es gab solide, wohlschmeckende Tortenstücke und für mich einen heißen Grog mit erwähnenswertem Rumanteil, der der drohenden Wiederverkühlung meines Körpers bei der rustikalen Raumtemperatur entgegen wirken sollte.
Ich will mal so sagen: ganz hat das nicht geklappt. Aber als wir wieder im Hafen waren und den Schlängel entlang gingen, erkannte Volker in dem eben mit der Flut eingelaufenen Boot, einer Avance 40 mit Namen DUDLER, ein Schiff seines Husumer Clubs. Er klopfte an, und wir wurden vom Skipper, einem echten "Salzbuckel" von etwa 80 Jahren, an Bord gebeten. Und was vorher nicht geklappt hatte, das klappte nun. In dem bullig beheizten Salon stand einer nachhaltigen Auf- und Durchwärmung nun wirklich nichts mehr im Wege, und das Gespräch nautischen Inhalts, das sich währenddessen entwickelte, war für uns sehr lehrreich. Es nahm uns ein wenig die "Manschetten" vorm Auflaufen im Sand der Nordsee, denn: ... "da kann man sich freiwühlen".
Als wir wieder an Bord der TIDEN waren, mussten wir feststellen, dass die bordeigene Dieselheizung ihren Dienst nun endgültig verweigerte. Deshalb griffen wir zuletzt auf die altbewährte Wärmequelle meines Bootes zurück, die ich zuhause vorsichtshalber mit in meinen Seesack gestaut hatte. Diese aus mehreren Teelichtern und einem für Geschirrspüler gedachten Niro-Besteckhalter des in aller Welt bekannten und berühmten Einrichtungshauses IKEA bestehende handfeste Konstruktion funktioniert immer und gewährleistete auch diesmal einen ungefährdeten Tiefschlaf bei hinnehmbarer Temperatur. Für die nötige Frischluftzufuhr muss natürlich gesorgt werden.
Um 0700 Uhr, als der neue Tag erste Anzeichen machte, in Erscheinung zu treten, waren Volker und ich auf und bereit, die Fahrt über die Nordsee anzutreten. Eigentlich wäre das jetzt auch der richtige Zeitpunkt gewesen aus Sicht der Tide, aber Katja, nun begleitet von einem jungen Mann namens Philipp, traf erst um 0745 Uhr mit dem Auto ein. So kam es, dass wir mit jenem jungen Mann, der sich uns als Lotse für die Husumer Gewässer vorstellte, erst mit einer Stunde Verspätung, gemessen am Optimalzeitpunkt für die Abfahrt ins Wattfahrwasser, von Katja verabschiedeten und ablegten. Eine weitere Verzögerung ergab sich dadurch, dass das Fahrwasser durch das Katinger Watt erst dicht am Eiderstedter Ufer entlang führt, dann ganz hinüber zur Dithmarscher Seite wechselt und zuletzt wieder zurück auf die Nordseite, wo sich die Schleuse des Eidersperrwerks befindet, und somit länger war, als erwartet. Und selbst, als wir in der Schleuse bereits festgemacht hatten, steigerte sich die Verspätung noch, denn die DUDLER war uns nachgekommen und sollte mit der TIDEN durchgeschleust werden, lief aber bei der letzten Tonne auf Grund. Das Bild, das sie abgab, sah von Ferne nicht sehr gut aus, aber "freigewühlt" hat sie sich dann doch noch, auch wenn der Motor röhrte wie ein Hirsch zur Brunftzeit und dabei eine gehörige Portion an weißen Qualmwolken ausstieß.
Nur wenig später wurden beide Boote von der Sperrwerkbesatzung in die Nordsee entlassen, die
Soweit war alles gut an diesem Sonntag, der seinen Namen diesmal zu Recht trug. Das Wetter von gestern hatte sich nämlich komplett verabschiedet, jetzt schien die Sonne, die Luft war warm, und von dem angekündigten Nordwind der Windstärke 4 war nichts zu spüren. Die TIDEN fuhr voran im sich dahin schlängelnden Wattfahrwasser, die DUDLER mit ihrem Tiefgang von 2,20 Metern kam hinter her. Bei Tonne 37, die abseitig auf einem Wattrücken lag, rief ich beim Sperrwerk an, um dies zu melden. Aber das war dort bereits bekannt, wir aber wurden gleichzeitig informiert, dass auch die Tonnen 14 und 16 losgelöst und vertrieben sind. In diesem Bereich war es also nötig, sich nicht an die roten Tonnen, sondern an die grünen, ungerade nummerierten Tonnen der einlaufend Steuerbordseite zu orientieren, die von unserem Boot aus gesehen, an Backbord lagen. Doch das sollte kein Problem sein.
Alles war gut, und ich erzählte gerade in launiger Weise von meiner kürzlichen Strandung vor Hiddensee, als es plötzlich rummste. Einmal, zweimal, dreimal! Grundberührung im Fahrwasser! Volker riss das Ruder herum. Auf Gegenkurs und mit starkem Motorpull wühlte sich die TIDEN wieder frei, und ich, der hier in der Außeneider als Navigationsberater fungierte, riet ihm, weiter nach Nord zu steuern, wo die Mitte des Fahrwassers zu vermuten war. Das tat er, und die TIDEN war wieder in Sicherheit. Was für eine Schrecksekunde bei ablaufendem Wasser! Außerhalb des Tonnenstrichs waren wir zu keiner Zeit gewesen, die Wassertiefe hätte ausreichend sein müssen. Das war sie aber nicht, und das war wohl die Barre, von der der Hafenmeister gesprochen hatte!
Die DUDLER war inzwischen an Steuerbord an uns vorbei gezogen, wir folgten ihr. Wir folgten ihr auch, als sie bereits weit vor der Ansteuerungstonne EIDER nach Nordwesten und danach nach Norden abbog, getreu der Devise, wo ein Boot mit 2,20 Meter Tiefgang fahren kann, da kann auch die 1,50 Meter tiefgehende TIDEN fahren. Sankt Peter-Ording hatten wir schon lange im Blick, nun sahen wir auch den Leuchtturm Westerhever, der uns ab hier fast bis nach Husum begleiten sollte. Nun, immer noch westlich der Halbinsel Eiderstedt, näherten wir uns Philipps Hausrevier an, das dieser, so seine Aussage, jedes Jahr mit seinem flachgehenden 30er Jollenkreuzer befährt. Dort kennt er sich aus, und dort gab er später sehr nützliche Hinweise. Leider kannte er sich mit herzhaften Schnittchen aber gar nicht aus, was nun doch nachteilig wirkte im Laufe des Tages. Da blieb uns nur Dosenbier und die kleine Zwischenmahlzeit direkt auf die Faust, alles getreu der Devise: "Der Hunger treibt's rein!"
Noch waren wir auf der freien Nordsee, an Steuerbord sackte die Halbinsel Eiderstedt langsam achteraus. Die DUDLER fuhr ziemlich nah unter Land nach Nord, wie ich es nie gewagt hätte, aber das Echolot zeigte zu jeder Zeit genug Wasser unter dem Kiel an.
Als die DUDLER uns den Anschein gab, in ein landnahes Nebenfahrwasser zu gehen, brach an Bord der TIDEN eine Diskussion aus. Ich war dafür, das gut ausgetonnte und sichere Hauptfahrwasser der Norderhever zu benutzen, Philipp tendierte jedoch danach, diesen landnäher gelegenen Nebenweg zu nehmen, der zu Zeiten meines über 30 Jahre alten Wattenmeer-Navigationsbuchs tatsächlich einmal der Hauptweg nach Husum gewesen war, nun aber immerhin noch eine Abkürzung durch die Sände versprach.
Mir jedoch missfiel die Engstelle an dessen Nordende, die uns der Plotter anzeigte. Die Entscheidung fiel, als die DUDLER einen Kuswechsel nach Backbord vornahm, vor unserem Bug querte und nun doch das Hauptfahrwasser der Norderhever ansteuerte, einem starken Wattstrom, der um ganz Pellworm und Hooge herumführt. Als wir später vor Nordstrand standen und Einblick in die Sände nehmen konnten, zeigte sich das Nordende dieses anfangs sehr breiten Nebenfahrwassers nun bei dem Stand der Tide als ein vollkommen trockengefallener Prickenweg. Da waren wir doch froh, diese Abkürzung durch die Sände nicht genommen zu haben.
Die Fahrt über Grund wurde immer langsamer, denn wir hatten auf diesem Kurs nun das ablaufende Wasser gegenan. Lange sahen wir schon die massive Bake von Norderoogsand, aber erst um 1245 Uhr waren wir östlich davon im Hauptfahrwasser der Norderhever und folgten diesem mit Kurs Nordost. Die kleine Insel Norderoog lag jetzt an Backbord, ebenfalls, wenn auch weiter voraus, die große Insel Pellworm, deren markante Kirchturuine wir schon seit einiger Zeit sahen, und recht voraus die Halbinsel Nordstrand.
Die Ebbe war inzwischen vorangeschritten, deutlich zeigten sich im weiten Rund die Sandbänke, auf denen sich die Seehunde in großer Zahl in der Sonne räkelten. Südlich der Hallig Südfall, bei Tonne 13 des Hauptfahrwassers, bogen wir nach Steuerbord in den Heverstrom ein. Das war das Fahrwasser, das wir nehmen mussten. Von hier aus waren es noch 17 Seemeilen bis Husum, und der Himmel trübte sich nun zunehmend ein. Als wir Nordstrand an Backbord hatten, war aus den kleinen Schäfchenwolken des frühen Nachmittags längst eine geschlossene Wolkendecke geworden, nur im Süden über Eiderstedt, das wir im Laufe der Fahrt fast ganz umrundet hatten, verharrte noch lange ein schmaler Streifen der Abendsonne. Die Wellen waren gänzlich verschwunden, und wie ein Ententeich zeigte sich das auf fast allen Seiten von Sand und Land umgebene Gewässer der Husumer Bucht.
Doch viel nutzte uns das nicht, so weit voran gekommen zu sein, denn für ein Einlaufen vor Eintritt des Niedrigwassers waren wir viel zu spät, und für ein Einlaufen bei auflaufendem Wasser waren wir viel zu früh. Und zur Zeit des Niedrigwassers ist es selbst für ein Boot von 1,50 Meter Tiefgang gänzlich ausgeschlossen, den Hafen von Husum anzulaufen, geschweige denn den ganz an dessen Ende befindlichen Prielhafen des Husumer Segelvereins.Da bleibt eigentlich nichts anderes nichts übrig, als zu ankern oder treibend abzuwarten. Wir entschlossen uns für das Letztere und setzten die Segel. Immerhin kamen wir so in die Situation, die Güte von Groß und Fock zu überprüfen. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach sind beide gerade so wie das Schiff auch: zwar alt, aber solide und gut erhalten. Dies zu wissen, war für Volker sicher eine beruhigende Feststellung, aber sonst nutzten uns die Anstrengungen des Segelmanövers nichts, denn vom Wind war noch immer kein Hauch zu spüren. So trieben wir weiter umher, nur von dem jetzt wieder auflaufenden Wasser ein wenig vorangetrieben.
Um 1700 Uhr hatten wir die Segel wieder geborgen, und Volker startete den Motor. Die TIDEN setzte die Fahrt fort, aber nur mit langsamster Geschwindigkeit, denn ein Auflaufen bei der vorhandenen Wassertiefe war jetzt immer noch zu jeder Zeit möglich. Um 1730 Uhr waren wir am Nordende der Bucht angelangt und fuhren ein in eine enge, von vielen Pricken gespickte Fahrrinne, die einer bedeutenderen Berufsschifffahrt selbst bei höchster Flut wohl kaum genügen kann.
Fast 60 Seemeilen hatten wir im Kielwasser zurückgelassen, als wir bald danach in die Husumer Au einsteuerten. Und als wir gegen 1800 Uhr das Sperrwerk von Husum voraus hatten, erkannten wir an Steuerbord Katja, die uns vom Deich aus zuwinkte. Wir durchliefen das Sperrwerk und danach den immer flacher werdenden Husumer Hafen bis fast an dessen Ende, dann legten wir das Ruder Steuerbord, um die Schwimmstege des an einem südlichen Nebenarm gelegenen Segelclubs anzusteuern. Aber so einfach war es nicht, nur zwei Meter vor unserem Ziel steckten wir erneut im weichen Modder fest. Aber, man kann sich freiwühlen, das hatten wir gelernt. Und das taten wir, auch wenn wir dabei mächtig Schlamm aufwirbelten, der einem seewassergekühlten Motor wie dem der TIDEN ganz sicher nicht zum Vorteil gereichen dürfte!
Als wir nach mehreren Anläufen endlich am Liegeplatz festgemacht hatten, fielen mir wieder meine Gedanken ein, die ich zu Anfang an der Krückau bereits gehabt hatte: Was macht "der Mensch" nicht alles, um seinem Bootshobby zu frönen! Aber diese Gedanken schob ich schnell zur Seite, denn die Begrüßung, die uns entgegengebracht wurde, war eine herzliche.
VG. Roland Blatt